Ein "Guter Ort" auf ewig

Nicht nur wunderschön, sondern wie alle jüdischen Grabstätten ein Mahnmal gegen das Vergessen: der Friedhof in Schopfloch nahe Dinkelsbühl.
Bildrechte Ute Scharrer (Hersbrucker Zeitung)

Lothar Mayer zeigt im Selneckerhaus jüdische Friedhöfe in Franken als Zeugnis gesellschaftlicher Entwicklungen

Zu erwarten war eine schön fotografierte Lichtbilderschau von einem Fotobegeisterten, der tatsächlich alle 96 jüdischen Friedhöfe in Franken mehrfach besucht und aufs Trefflichste abgelichtet hatte. Bekommen haben die rund 90 Gäste bei Lothar Mayers Vortrag im Selneckerhaus eine Rückschau bis zu den Begräbnisriten der Neandertaler, kleine Einblicke in die Errungenschaften berühmt gewordener fränkischer Juden und eine philosophische und gesellschaftliche Einordnung der Bedeutung jüdischer Friedhöfe, die Mayer vor allem auch als eines versteht: als Mahnmale, die zu einem gelingenden Miteinander von Menschen und Religionen auffordern.

Die kleinen Einsprengsel ganz konkreter Fakten durften nicht fehlen, etwa, dass bei einem Besuch auf einem jüdischen Friedhof kleine Steine auf den Grabsteinen hinterlassen werden, weil zu biblischen Zeiten Jakob seine Frau Rahel nach ihrem Tod in der Wüste nur mit einem Stein auf ihrem Grab schützen konnte. Bis heute ist der Stein auf einem jüdischen Grab ein Zeichen, dass der Verstorbene nicht vergessen ist.

Oder dass man einen jüdischen Friedhof am besten am Morgen besucht: Fast alle Gräber sind "geostet", um beim Erscheinen des Messias in Jerusalem und der Auferstehung ohne Richtungswechsel auf den Messias zugehen zu können, und so liegen die Schauseiten der relativ schmucklosen Steine nachmittags bereits im Schatten.

Oder dass im Gegensatz zu ablaufenden Gräber mieten in der christlichen Friedhofskultur ein jüdischer Friedhof ein sogenannter "Guter Ort" ist, wo der gläubige Jude nach seinem Ableben einen religiös verbürgten Platz bis zum "Jüngsten Tag" hat, den ihm keiner mehr nehmen kann.

Was Symbole verraten

Auch die Symbole auf den Grabsteinen legte Lothar Mayer aus, etwa den Schmetterling als Symbol der Auferstehung, die segnenden Hände der Kohanim, der Priester, deren Gräber oft am Rand der Grabstätten wie ein Schutzring angeordnet sind – oder die abgebrochene Säule, die den zu frühen Tod eines jungen Menschen abbildet.

Doch den größten Teil des Abends wagt Lothar Mayer, der erfolgreiche Unternehmer, der sich selbst früher in den "Unruhestand" geschickt hat, um seinen Interessen intensiv nachzugehen,den ganz großen Wurf: Er verknüpft sein profundes historisches Wissen mit aktuellen Aspekten des Judentums, dem vergangenen und dem leider viel zu gegenwärtigen Antisemitismus und unsere Haltung dazu. Der jüdische Friedhof an sich ist ihm ein Abbild der Umstände jüdischen Lebens: Wie jüdische Mitbürger gebraucht und zugleich missbraucht und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, zeigt oft auch die Lage der Friedhöfe und ihre Zerstörung oder Vernachlässigung.

Das Phänomen Friedhof packt aber auch den Vortragenden selbst an der Wurzel seiner Existenz: Auf der großen jüdischen Grabstätte von Bechhofen überwältigt ihn auf einmal die Erkenntnis, von Toten umgeben zu sein, Gedanken an die eigene Vergänglichkeit machen sich bemerkbar. "Wird es gelingen", so fragt sich Lothar Mayer, "das Leben in wachsenden Ringen zu leben, wie der Dichter Rainer Maria Rilke es ausdrückt?"

Gegen den Schlussstrich

Engagiert zeigte Lothar Mayer historisches Wissen und wunderbare Fotografien jüdischer Friedhöfe in Franken im Selneckerhaus.
Bildrechte Ute Scharrer (Hersbrucker Zeitung)

Für Mayer ein weiterer Anlass, mit seinen Vorträgen engagiert Widerstand zu leisten gegen eine Schlussstrichmentalität, die gerne die Gräuel gegen Juden vergessen möchte, ein Thema, das seiner Einschätzung nach sowieso schon wie verloren neben dem tagesaktuellen Geschehen erscheint, endgültig abzuhaken.

Mayers Appell für Menschlichkeit und ein friedliches Miteinander der Religionen wirkt, weil persönliche Betroffenheit und historisches Wissen Hand in Hand gehen. Den Organisatorinnen Irmingard Philipow vom Raum der Stille, Lydia Kossatz für die Evangelische Bildungsarbeit im Dekanat Hersbruck und Gertraud Maul von der Studiengemeinschaft Nürnberger Land ist für diesen Beitrag in der Reihe zu Jenseitsvorstellungen und Bestattungskultur zu danken.

"Kann ein Friedhof schön sein?", fragt Lothar Mayer einmal. Die Besucher seines Vortrages können dies beim Anblick seiner Fotos nur bejahen: die bemoosten Steine, die teilweise im Gras versinken oder gar vom Wuchs eines Baumes umschlossen werden, auf denen sich Grünspecht und Schmetterling niederlassen oder deren Grau während der Kirschblüte einen Kontrast zu den schneeweißen Blüten bilden, strahlen Würde und Schönheit zugleich aus. Gut, dass Lothar Mayer seine fotografischen Mühen gleich in zwei Bildbänden zur jüdischen Friedhofskultur in Franken fasste, die am Ende des Abends reißenden Absatz finden.

Im nächsten Vortrag spricht Gemeindepfarrer Thomas Lichteneber am Donnerstag, 28. November, um 19.30 Uhr im Selneckerhaus zu "Auferstehung und ewiges Leben".

Copyright (c) 2019 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 16.11.2019