Nicht abgrenzen, sondern kennenlernen

Christiane Lutz (unten rechts) erklärte bei einem Vortrag des Bildungswerks in Ottensoos, welche Rituale und Traditionen es im Judentum gibt.
Bildrechte J. Lassauer (Hersbrucker Zeitung)

Lose Artikelserie zum Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland": Christiane Lutz ist Dekanatsbeauftragte für den christlich-jüdischen Dialog

Ihr großes Interesse für das Judentum wurzelt in ihrem Studium in Berlin: "Mein damaliger Professor hatte sich sehr um den christlich-jüdischen Dialog verdient gemacht." Für sein Ansinnen, die Abgrenzung zwischen Juden und Christen aufzuheben, habe er viele Prügel einstecken müssen. "Aber Jesus ist nun mal Jude."

Lange habe es daher sogar in der Landeskirche keine Stelle für die Begegnung zwischen Juden und Christen gegeben; das lief über einen Verein, der aber "missionarisch geprägt" war. Dort war Lutz lange als theologische Referentin tätig und kam bei Reisen immer tiefer mit dem Judentum in Kontakt. "Manchmal ist es mir sogar näher als das Christentum", gibt sie zu. Und für Lutz ist das kein Problem.

Ursprung bei Luther

Denn alles, was Jesus gelehrt habe, gehe über das Judentum nicht hinaus. Seit Luther habe das Christentum jedoch sehr in einer Abgrenzung zum jüdischen Glauben gelebt. "Im Prinzip hat Luther damals Antisemitismus betrieben." Daher werde der Reformator inzwischen auch kritischer gesehen. Ein Fortschritt im theologischen Dialog der Religionen, meint sie und sagt: "Ich kann doch so leben, dass ich andere nicht ausgrenzen muss."

Leider förderten die sozialen Medien da einen negativen Trend: "Man bewertet andere, setzt sich selbst in Szene …" Nicht nur deshalb findet Lutz das Festjahr sehr wichtig, sondern auch weil viel in Sachen Antisemitismus "hochgeschwemmt ist". Zugleich hat sie aber den Eindruck, dass Verständnis und Interesse am Judentum in der Bevölkerung wachsen würden: "Meine Konfis sagen: Jesus ist doch selbst Jude, wie kann man da gegen Juden sein?"

Wichtig ist Lutz eines: "Es gibt nicht das Juden- oder das Christentum." Beide Religionen können schillernd sein; ein Jude kann Jude und Deutscher sein, er kann Jude sein, aber nicht religiös. "Die persönliche Begegnung ist entscheidend." Im normalen Umgang relativiere sich vieles, ist sie überzeugt. Leider gebe es im Dekanat keine jüdische Gemeinde; von Familien wisse sie ebenfalls nichts.

Auf Lutz übt der jüdische Glauben jedenfalls eine große Faszination aus: "Die Schriftkenntnis ist umwerfend!" Auch, dass die Religion auf zwei Säulen fußt, findet sie beeindruckend – nämlich auf der häuslichen Gemeinschaft und der in der Synagoge. "Alles ist vom Tun durchwirkt und das Gemeinschaftserlebnis zu Gott stärkt mehr", ist Lutz‘ Eindruck. Viele junge Leute seien beispielsweise stolz, Jude zu sein. Zudem sei das Verhältnis zwischen Gott und Mensch anders. "Unser Glaube ist dagegen individueller und innerlicher."

Leider wären nicht alle Kollegen so offen für den Blick über den Tellerrand. Doch um diesen Gedanken bei ihnen einzuspeisen, wie es Lutz beschreibt, seien die verschiedenen Beauftragten für diverse Themen im Dekanat da. Die Corona-Pandemie habe ihr mehr Raum gegeben zu überlegen, was sie für den Dialog tun könnte. Letztlich hat sie sich mit dem neuen evangelischen Bildungswerk "NAH" zusammengetan. "Es gibt hier viele jüdische Spuren, aber wie viel Wissen ist bei den Leuten vorhanden?"

Aufgrund der Pandemie "humpeln wir mit Veranstaltungen noch hinterher". Doch geplant ist noch einiges in diesem Jahr: ein Besuch in der jüdischen Gemeinde in Amberg, die die älteste Thora-Rolle Süddeutschlands beherbergt, ein Vortrag am 9. November zum Anti-Judaismus, eine Musikveranstaltung und das Thema "Wie werde ich Rabbinerin?", zählt Lutz auf. 2022 soll es mit den Terminen weitergehen; da feiert der Eingang der "Solidarität zum jüdischen Volk" in die Präambel der Landeskirche Jubiläum: "Und das sowie seine Religion braucht einfach mehr Sichtbarkeit."

Copyright (c) 2021 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 28.10.2021