"Wir bestärken Mädchen, selbständig zu leben"

Redakteurin Susanne Baderschneider mit Mary Mshana, Beryl Akoko und Monica Kinyanjui vom Pangani-Projekt und Pfarrer Reinhold Pfindel in der Redaktion der HZ (von li.).
Bildrechte Severine Wahl (Hersbrucker Zeitung)

Armut Das Pangani-Projekt in Kenia bietet Kindern von der Straße eine Zukunftsperspektive. Drei Mitarbeiterinnen sind zurzeit zu Besuch in Hersbruck.

VON SEVERINE WAHL

"In der Redaktion arbeiten nur Frauen?" Mary Mshana, Beryl Akoko und Monica Kinyanjui staunten nicht schlecht, als sie die Hersbrucker Zeitung besuchten. In ihrer Heimat Kenia wäre das undenkbar. Das Land im Osten Afrikas ist patriarchalisch geprägt. "Frauen haben in unserer Gesellschaft einen geringen Stellenwert", erzählt Mary Mshana. Je ärmer, desto geringer.

Um die Schwächsten in der Gesellschaft kümmert sich Mshana mit ihren beiden Kolleginnen: um Mädchen aus den Slums, die betteln. Die 59-Jährige leitet das Pangani Lutheran Children’s Centre (PLCC), eine Einrichtung im Vorort Pangani, vier Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt Nairobi. Bei dem Projekt holen sie junge Mädchen von der Straße.

Und eigentlich tun sie genau das, was sie selbst für unmöglich halten: Das Team um Mshana besteht nur aus Frauen. Die sich für Mädchen einsetzen - für ihre Rolle als Frau in Beruf, Familie und in der Öffentlichkeit. 2024 wird das Projekt bereits seit 30 Jahre bestehen. Es ist Teil der Kenianischen Lutherischen Kirche und hat seit 25 Jahren eine Partnerschaft mit der evangelischen Stadtkirchengemeinde Hersbruck.

Zurzeit sind Mary Mshana, Beryl Akoko und Monica Kinyanjui im Nürnberger Land unterwegs, besuchen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Werkstätte für Menschen mit Behinderungen, das SOS-Kinderdorf, gehen ins Gespräch mit Frauenärztinnen und Politikern. Sie berichten von ihrer Arbeit mit den Straßenkindern, tauschen sich aus, holen sich Impulse, inspirieren.

Gerade in den Einrichtungen mit Kindern sieht Mshana viele Ähnlichkeiten: "Im SOS-Kinderdorf sind die Standards zwar besser als bei uns, die Arbeit mit den Kindern ist die gleiche."

Beeindruckt ist sie vor allem von den Erzieherinnen im Evangelischen Haus für Kinder in Hersbruck und den Lehrerinnen in der Grundschule in Henfenfeld. "Die Arbeit ist für sie mehr ist als ein Job. Man spürt ihre Hingabe. Der Umgang mit den Kindern ist unglaublich wertschätzend." Egal, ob Mädchen oder Junge.

Die Mitarbeiterinnen von PLCC betreuen nur Mädchen - derzeit rund 50, die noch bei ihren Familien leben. Sowie 48 Kinder, darunter auch Waisen, im Pangani-Haus außerhalb der Hauptstadt. Dort leben immer zwölf Mädchen ab Kindergartenalter mit ihrer Hausmüttern.

Ein davon ist Monica Kinyanjui. "Wir kochen, waschen die Kleidung, pflegen die kleineren Kinder, vermitteln soziale Skills, unterstützen darin, sich in der Gruppe zurechtzufinden", erzählt die 50-Jährige. Gerade letzteres sei nicht einfach.

Gewalt und Missbrauch

"Einige der Mädchen sind sehr aggressiv, wenn sie zu uns kommen - auch in der Sprache", erklärt Mary Mshana. Meist hätten sie Gewalt und Missbrauch erfahren. "Das erfordert viel Geduld, Beratung und Aufarbeitung. Wir arbeiten eng zusammen." Wir, das sind die Hausmütter, Sozialarbeiterinnen, Streetworkerinnen, Ärztinnen und Psychologinnen. Medizinische Versorgung für die körperliche und psychische Gesundheit ist ein Bestandteil beim PLCC.

Die meisten Mädchen haben psychische Beschwerden. Das mag kaum verwundern, haben sie in ihrer jungen Biografie bereits viel Leid erlebt - auch die ohne Missbrauchserfahrung. So ziemlich alle, die in der Einrichtung aufgenommen werden, sind in den Slums Nairobis aufgewachsen. Und betteln.

"Im Oktober und November gehen wir durch die Straßen", erzählt Beryl Akoko. Die 32-Jährige ist als Sozialarbeiterin tätig. In dieser Zeit habe die Schule bereits gestartet, Akoko und andere Streetworkerinnen versuchen herauszufinden, wer dem Unterricht fernbleibt und bettelt - trotz Schulpflicht in Kenia.

Damit ist es nicht getan. "Wir suchen die Mädchen mehrmals auf, tasten uns behutsam heran, versuchen Vertrauen aufzubauen", so Akoko. Sind Mütter dabei, sei es schwieriger. Ohne deren Erlaubnis dürfen die Kinder nicht ins Pangani-Haus aufgenommen werden. "Kinder erbetteln mehr, darum wollen sie sich ungern von den Kindern trennen. Wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten."

Schließlich ermöglicht das Pangani-Projekt den Mädchen gute Zukunftsperspektiven. Das Team um Mshana betreut sie von der Kita bis zum Ausbildungsende oder Universitätsabschluss. "Unser Ziel ist es, die Mädchen darin zu stärken, dass sie später selbstständig leben und Entscheidungen treffen können", betont die Leiterin des Projekts. Die Erfolgsquote ist hoch: Fast alle der einstigen Straßenmädchen haben einen Schul- und sogar einen Uniabschluss, eine Ausbildung abgeschlossen, einen Job und eine eigene Familie.

Mädchen stabilisieren

Und auch hier gilt es, stark und selbstbewusst zu sein - gerade in den patriarchalisch geprägten Strukturen. Aber auch zur Herkunftsfamilie, denn nicht selten versuchen Mütter, ihre Kinder aus dem Pangani-Haus wieder herauszuholen, damit sie wieder für sie betteln. "Wir haben gezielte Trainings, in denen die Mädchen sie einen stabilen Umgang mit den eigenen Familien lernen."

Der Aufenthalt bei PLCC ist freiwillig. Die Mädchen können jederzeit die Einrichtung verlassen. Die wenigsten tun es. "Ehemalige halten den Kontakt zu uns, gerade zu ihren Hausmüttern. Sie besuchen uns, reden mit den Mädchen und appellieren an sie, ihre Chance bei uns zu nutzen", sagt Mshana. "Wir sichern ihnen Zugang zu Bildung."

Ihrer Meinung nach ist eine Ursache für die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern eine geringe oder gar keine Bildung. Je nach Gesellschaftskreis oder Stamm - in Kenia leben 45 Stammesgemeinschaften - können Frauen eine gute Stellung haben, wird ihre Meinung geschätzt - "eben abhängig vom Bildungshintergrund", so Mshana.

Projekte wie PLCC gibt es viele in Kenia, zum Großteil von kirchlichen Einrichtungen ins Leben gerufen. Meist allerdings nur in den Städten. Anders sieht es in den ländlichen Gebieten aus. "Die Kinder gehen nicht zur Schule, dafür hungrig ins Bett", sagt Sozialarbeiterin Beryl Akoko. "Es gibt nichts als Armut. Immerhin haben sie ein Zuhause."

Info

Interessierte können am Samstag, 24. Juni, mit den Vertreterinnen des PLCC-Projekts ins Gespräch kommen. Der Begegnungsabend beginnt um 19.30 Uhr im "Panganisaal" des Selneckerhauses.

Inklusiv und inspirierend

Bei ihrem Besuch im Nürnberger Land haben die drei Mitarbeiterinnen des PLCC-Projekts auch die Produktionsbereiche der Moritzberg-Werkstätten der Lebenshilfe besucht. „Hier ist viel Herzlichkeit innerhalb der Belegschaft und wir schätzen es, wie souverän den Betreuten die Arbeit von der Hand geht“, findet Mary Mshana, Leiterin des PLCC (links). Diese Impulse könne sie in ihre Projekte einfließen lassen. Die Lebenshilfe engagiert sich stark für Inklusion und gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung, aber auch für Kinder im Vorschulalter mit Förderbedarf.

Besuch der Moritzberg-Werkstätten
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Copyright (c) 2023 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 23.06.2023